| Das Menschenvernichtungspapier
 Nachforschungen und Kommentar zur Studie  der Chemnitzer Finanzwissenschaftler Thießen und Fischer
 von Holdger Platta © Als Caesar im Jahre 49 vor Christi Geburt den Rubikon  überschritt – einen kleinen Grenzfluss (heute: Ulgardo) zwischen dem Römischen  Reich und dem damaligen Gallien –,  soll  er gesagt haben: „Der Würfel ist gefallen“ (= „Alea iacta est.“). Gemeint war  sein Entschluss, in Rom die Macht an sich zu reißen. Seither steht diese Formel  „den Rubikon überschreiten“ für: „den entscheidenden Schritt“ tun. Und aus  damaliger Sicht kehrte der römische Feldherr damit aus der „Barbarei“ in die  Gefilde der „Zivilisation“ zurück. Doch mit dem, was die beiden Wissenschaftler an der  Technischen Universität Chemnitz, Professor  Friedrich Thießen (Lehrstuhlinhaber für „Investment-Banking“) und sein Helfer,  Diplomkaufmann Christian Fischer, unter dem Titel „Die Höhe der sozialen Mindestsicherung“  als Studie zum Existenzminimum von Arbeitlosen vorgelegt haben, ist der Rubikon  in entgegengesetzter Richtung  überschritten worden: Aus den Bereichen der Zivilisation in die Abgründe der  Barbarei. Und auch für diese Herren ist damit „der Würfel gefallen“ – nämlich  das Todesurteil für Millionen von Menschen. Sie haben Modellrechnungen vorgelegt, die aus dem Menschenverelendungsprogramm Hartz IV  ein Menschenvernichtungsprogramm machen  sollen: Einen Masterplan zum  schleichenden Genozid an Millionen von Menschen in der Bundesrepublik. Und  seit ich diese angeblich wissenschaftliche Untersuchung gelesen habe, drängen  sich mir zwei Gedanken immer wieder auf (eine dritte Erklärung finde ich  nicht): Psychiatrie oder Knast. Entweder sind diese  Wissenschaftler nicht mehr bei Troste, oder man muß anderes erwägen: Anklage  nach § 130 Strafgesetzbuch (das ist der „Volksverhetzungsparagraph“) wegen  Billigung von Völkermord. Von 132 Euro insgesamt sollen hinfort die Arbeitslosen in Deutschland leben können, 68,09 Euro sollen dabei reichen für den gesamten Nahrungsbedarf. Nun, ich habe diese Zahlen  in meiner eigenen Region Südniedersachsen  überprüft. Hier die Ergebnisse. Das erste Resultat führt mich zu dem Einfall Psychiatrie: Hier scheinen  Wissenschaftler  nicht mehr bei klarem  Kopf gewesen zu sein. Grundsätzlich zu empirischer Genauigkeit verpflichtet,  ergehen sie sich stattdessen in Wahnvorstellungen. Und das zweite Resultat  führt mich zu dem strafrechtlichen Vorwurf „Volksverhetzung“. Doch zunächst zum  ersten Punkt. Kommunikation zu 2  Euro pro Monat möglich? Zuallererst bin ich der Behauptung der Autoren nachgegangen,  sämtliche Kommunikationsbedürfnisse der Arbeitslosen könnten zu 2 Euro pro  Monat in der örtlichen Bibliothek befriedigt werden, an den Computern dort, durch  Mailen und Surfen in einem Zeitraum von jeweils 20 Minuten pro Tag. Nun, wie  sähe das für mich hier aus, wohnhaft auf einem Dorfe, rund 22 Kilometer von der  nächsten öffentlichen Bücherei entfernt, der Stadtbibliothek Göttingen? Punkt eins: Die billigste Lösung dort ist der Erwerb einer  Monatskarte zu 7,50 Euro. Das  erlaubt kostenlose und auch zeitlich unbegrenzte Nutzung der dort vorhandenen 9  PC’s. Doch um dorthin zu gelangen, müsste ich gleichzeitig auch eine  Monatskarte der hiesigen Busgesellschaft lösen: Für sage und schreibe 90,50 Euro. Macht in der Addition nicht 2 Euro, wie die Herren aus Chemnitz  für diesen Ausgabeposten Kommunikation errechnet haben – angeblich repräsentativ für Gesamtdeutschland! -,  sondern 98 Euro. Heißt erstens: Die  Finanzwissenschaftler haben sich gerademal um 4.900 Prozent vertan. Und zweitens: Vom Gesamtbetrag, den uns diese  Empiriker noch zubilligen möchten, den 132  Euro, blieben lediglich noch 34 Euro übrig für alles Sonstige, darunter auch fürs Essen mit dem angeblichen  Gesamt-Etat von 68,09 Euro. Schon  hier fragt sich: Hatten Thießen und Fischer bei ihren Behauptungen und  Berechnungen noch alle Tassen im Schrank? Noch abstruser werden die Angaben der Chemnitzer  Finanzexperten allerdings, wenn man dazu die folgende Rechnung aufmacht: Diese  9 PC’s in der Stadtbibliothek Göttingen sollen - à 20 Minuten pro Tag – den  Kommunikationsbedarf sämtlicher rund 15.000 Arbeitslosen in den Landkreisen  Göttingen und Northeim sowie der Stadt Göttingen sicherstellen. Die Göttinger  Bücherei hat aber nur an 4 Tagen in der Woche geöffnet. Das bedeutet: Die  Bibliothek müsste für diese 15.000 Arbeitslosen pro Tag rund 139 Stunden zur Verfügung stehen. Oder andersherum:  bei den gegebenen 35 Stunden Öffnungszeiten pro Woche hätte diese Institution  sofortest ihren Computer-Bestand aufzustocken auf 322 PC’s, und sie müsste für dieses Zusatzangebot ihr Areal um mindestens 644 Quadratmeter erweitern. Was  selbstverständlich das existierende Gebäude, ein Altbau in der Innenstadt,  eingeklemmt zwischen anderen Häusern, gar nicht zulässt.  Schlussfolgerung: Was die Chemnitzer Wissenschaftler da der  Öffentlichkeit vorgerechnet haben, ist Hirngespinst. Was sie den BürgerInnen  als angeblich realisierbare Möglichkeit für die Kommunikationsbedürfnisse von  Arbeitslosen vorgerechnet haben, zählt zur Kategorie Wahnvorstellungen, ist das  genaue Gegenteil von Wissenschaft.  Nimmt man hinzu, dass dieselben Autoren den Arbeitslosen  auch noch eigene Staubsauger und Bügeleisen vorenthalten möchten, da  diese bei karitativen Organisationen kostenlos auszuleihen seien, verschärft  sich diese Diagnose noch. Wenn man dem einzelnen Arbeitslosen die einmalige  Nutzung dieser Gerätschaften für jeweils einen halben Tag pro Woche zugesteht  (einschließlich Holen und Zurückbringen von Bügeleisen und Staubsauger), müssten  hier in der Region diesen Hilfsorganisationen bei fünf Öffnungstagen pro Woche mindestens 1.500 Bügeleisen und Staubsauger für  die 15.000 Arbeitslosen zur Verfügung stehen. Um es schlicht zu sagen: Diese  Institutionen mit einem derartigen Apparate-Arsenal gibt es hier nicht. Und: es  ist auch zu bezweifeln, dass sie irgendwo sonst in Deutschland existieren –  sämtliche Großstädte eingeschlossen.  Auch dieser Vorschlag der Chemnitzer Autoren mithin  nichts als Hirngespinst.  Soweit also zur Assoziation Psychiatrie. Aber:  Was Thießen und Fischer zur Ernährung der Arbeitslosen ausgerechnet  haben, das ist nicht nur verrückt, das ist schlicht lebensgefährlich und ruft  unweigerlich die Überlegung Strafanzeige wegen Befürwortung des Völkermords auf  den Plan. Ich erläutere: Vorschläge für den allmählichen HungertodWie bereits festgestellt: angeblich genügen 68,09 Euro im Monat, um eine gesunde  und ausreichende Ernährung der Arbeitslosen sicherzustellen. So das  Rechenresultat der Finanzexperten aus der vormaligen Karl-Marx-Stadt. Erhoben  dieser Gesamtbetrag unter anderem bei ALDI,  auch hier bei uns der Billiganbieter schlechthin.
 Nun, ich habe die Lebensmittelliste aus dieser Studie  gemeinsam mit dem Leiter der nächstgelegenen ALDI-Filiale überprüft, in  Bovenden am 10. September. Lassen wir hier die Fahrtkosten einmal beiseite (24  km Fahrtstrecke von meiner Wohnung aus hin und zurück), weil bereits beim Punkt  Kommunikationskosten berücksichtigt (Bovenden liegt auf halber Wegstrecke nach  Göttingen).  Lassen wir auch beiseite, dass, wie bereits gezeigt, ohnehin  nur noch 34 Euro statt der angeblich 68,09 Euro für sämtliche andere Lebensbedürfnisse übrigbleiben würden, wenn ein  Arbeitsloser hier seine Kommunikationsbedürfnisse in der Göttinger  Stadtbibliothek stillt. Lassen wir schließlich beiseite, dass schon der  Lebensmittelkatalog die merkwürdigsten Lücken aufweist: kein Zucker und kein Salz (!), keine Streuwürze  (Gemüsebrühe) oder sonstigen Gewürze, kein Essig, kein Senf, keine Butter,  keine Marmelade, kein Honig, kein Weißkäse, kein Pflaumenmus, keine Eier, kein  Kaffee oder Tee oder Fruchtsäfte oder Schokogetränke (für Kinder z.B.), kein  Mineralwasser. Ausschließlich Leitungswasser soll den Arbeitlosen noch  zustehen, inklusive ihrer Kinder (abgesehen von einem bißchen Milch).  Lassen wir letztlich beiseite, dass auch die  Energiekosten (bei uns hier Strom) für die Essenszubereitung sowie die Kosten  fürs Leitungswasser von den Chemnitzern Wissenschaftlern schlicht ‚übersehen’  worden sind (beides muss aus dem Regelsatz bezahlt werden!).Was erbrachte meine  Überprüfung dieser Schrumpfliste ‚erlaubter’ Lebensmittel, gemeinsam  vorgenommen mit dem Filialleiter von ALDI in Bovenden? Nun, statt des von Thießen/Fischer vorgerechneten  Gesamtbetrags von 68,09 Euro kamen  wir auf eine Gesamtsumme von 96,06 Euro.  Das heißt: Mit den 68,09 Euro könnten  die Arbeitslosen hier lediglich 70  Prozent des von den Chemnitzer Wissenschaftlern konzedierten Gesamtbedarfs  an Lebensmitteln bezahlen, was anders ausgedrückt bedeutet: jeden Monat wären 9 Tage totaler Hunger angesagt!  Noch schlimmer wird es allerdings, wenn wir bei dieser  Warenpreisliste ins Einzelne gehen: Die  wichtigsten Grundnahrungsmittel – Brot nämlich sowie Nudeln, Reis und  Kartoffeln – reichten gerade mal für  einen halben Monat, weil in der Bovender ALDI-Filiale doppelt so teuer wie  auf der Preisliste der Finanzwissenschaftler! Das bedeutet: diese Herren aus  Chemnitz haben ein Programm zum allmählichen Verhungern der Arbeitslosen in der  Bundesrepublik vorgelegt. Ist verwunderlich, gar verwerflich, dass sich da  entsetzlichste Assoziationen aufdrängen an Zeiten, zu denen es – neben den  Todesprogrammen „Vernichtung durch Gas“ und „Vernichtung durch Arbeit“ - auch  das Todesprogramm „Vernichtung durch Verhungern“ gab? Keine Gleichsetzungen,  nichtmal hier, aber die Parallelen drängen sich auf; es sei denn, man wollte um  jeden Preis – selbst um den Preis von Menschenleben – diese Parallelen verdrängen!  Was diese Studie in sanften Tönen vorschlägt, ist  ungeheuerlich. Sie lässt keinen anderen Schluß zu, als dass hier der  allmähliche Hungertod von Millionen von  Menschen als neue Hartz-IV-Variante der Öffentlichkeit vorgelegt worden ist.  Der Satz von Müntefering „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ scheint  bei Thießen und Fischer ohne Einschränkung angekommen zu sein. Objektiv handelt es sich bei ihrer Studie  um Vorschläge zu einem Menschenvernichtungsprogramm. In diesem Zusammenhang hat mich aber noch etwas anderes  interessiert, und diesem Themenkomplex galten auch meine weiteren Recherchen zu  diesem Lebensmittel-Etat von rund 2,24  Euro pro Tag. Was gibt man an den Göttinger  Universitätskliniken pro Patient und pro Tag für deren Normalkost aus? Und:  Wie sieht der entsprechende Tagessatz für die Inhaftierten in der Justizvollzugsanstalt in Rosdorf (südlich von Göttingen gelegen) aus? Auch dazu die Ergebnisse: Die Göttinger Uni-Kliniken schätzen ihren Tagessatz  Normalkost für ihre PatientInnen (natürlich ohne Arbeits- und Energiekosten für  die Zubereitung des Essens) auf 5 Euro  pro Tag. Ein völlig regulärer Betrag, wenn man die entsprechende Studie des  „Deutschen Krankenhausinstituts“, Düsseldorf, aus dem Vorjahr hinzuzieht und  die seither eingetretenen Preissteigerungen miteinrechnet (Angabe dort: 4,45 Euro Warenkosten pro Tag). Dabei  wurde in den Telefonaten mit mir mehrfach von Seiten der Göttinger Uni-Kliniken  betont: Wegen der großen Mengen kauft dieses Krankenhaus praktisch sämtliche  Lebensmittel zu Großhandelspreisen ein, heißt – wie ich am 12. September bei  einem Kölner Wirtschaftsinstitut an der dortigen Universität ermittelte – zu einem Nachlass von rund 21 Prozent.  Wir NormalbürgerInnen hätten also statt dieser 5 Euro ganz genau 6,05 Euro für diese Ernährung pro Tag zu zahlen (= 184,02 Euro pro Monat). Nun ist  einzuräumen, dass es eine Klinik mit erkrankten Menschen zu tun hat, also ganz  besonderen Wert auf qualitätsvolle Ernährung legen muß. Andererseits liegt der  Kalorien- und Mengenbedarf ihrer zumeist bettlägrigen, zumindest aber  bewegungsarmen,  PatientInnen weit unter  dem Durchschnitt der gesunden Bevölkerung. Einen  Maßstab für gesunde Ernährung liefert diese Preisangabe deshalb auf jeden Fall.  Setzt man diese 184,02 Euro also in  Vergleich mit den 68,09 Euro, die  der Chemnitzer Studie zufolge den Arbeitslosen noch für Lebensmittel zur  Verfügung stehen sollten (in Wahrheit aber, wie bereits  gezeigt, irgendein Betrag weit unter 34 Euro!), dann zeigt bereits dieser  Unterschied, wie erheblich die Maßstäbe einer gesunden und ausreichenden  Ernährung bei der Chemnitzer Studie unterschritten werden, nämlich um fast Zweidrittel des tatsächlichen Bedarfs! Aber es kommt noch schlimmer: Selbst die Inhaftierten der Justizvollzugsanstalt in Rosdorf  bekommen pro Tag Essen im Gegenwert von 3,27  Euro, das heißt: Selbst gegenüber  den Strafgefangenen in der Bundesrepublik sollen dieser Studie zufolge  die Arbeitslosen um fast ein Drittel bei ihrer  Ernährung schlechter gestellt werden! Die ALG-Zweier rangieren demnach, was  ihre Ernährungsansprüche betrifft, noch weit unter den Straftätern, die in der Bundesrepublik  einsitzen wegen Raub und Betrug, Totschlag und Mord. Man fasst es nicht! Wobei  - bitte keine Missverständnisse! -  selbstverständlich auch inhaftierten  Straftätern in der Bundesrepublik eine gesunde und ausreichende Ernährung  zusteht! Deren Bestrafung soll ja nicht darin bestehen, dass sie sich  allmählich krank essen oder verhungern müssen – also genau das, was offenkundig  den Arbeitslosen in der Bundesrepublik nunmehr zugedacht wird, jedenfalls –  vielleicht völlig gedankenlos – von diesen Chemnitzer Autoren.
 Fazit: Machte man mit den Empfehlungen dieser Studie ernst,  käme das der allmählichen Vernichtung von Millionen von Menschen in der  Bundesrepublik gleich, der Vernichtung durch Hungertod. Caesar übrigens, nach  seiner Überquerung des Rubikon, hatte nicht mehr sehr lange zu leben. Wie  bekannt, wurde er an den Iden des Märzes im Jahre 44 vor Christi Geburt im  römischen Senat umgebracht. Solches ist den Herren Thießen und Fischer  selbstverständlich nicht zu wünschen. Aber sehr wohl klarste rechtsstaatliche  Reaktion: Entweder Untersuchung auf deren Geisteszustand oder Anklage wegen  Empfehlung und Billigung von Völkermord. Um noch einmal einen lateinischen  Spruch zu zitieren: „Tertium non datur“ (= „Ein Drittes gibt es nicht“) |